Sigrid Nienstedt


NOWHERE WOMAN1 SIGRID NIENSTEDT ? von Reimar Stange, im Januar 1996

Ich möchte aufzeigen, daß die Kleidung und die Malerei parallele Wege gegangen sind", schreibt Georges Bataille in seinem Essay über Manet. Die Parallelen sieht Bataille in den Momenten der „Nüchternheit", des „Unpersönlichen" und des modernen „Realpolititschen", die sich sowohl im schlichten Schwarz-grau der Männermode, wie in der „aktiven Indifferenz" der Malerei Manets äußern. Bis hin zu Velvet Underground und er explizit der Moderne verpflichteten Kunst von Gerhard Merz etwa ließe sich diese Linie verlängern. (Und trägt nicht auch Merz allzugerne einen grauen Anzug?)

Doch der Bruch zur Moderne hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt in der Malerei ereignet. Günter Förg ist hier nicht nur als Gegenpol zu Merz zu nennen: Seine „second-hand-Strukturen", die immer wieder sich unter anderem beim späten Mondrian bedienen, haben den Weg für eine jüngere Generation geebnet, die sich ähnlich „umgangssprachlich" und unverkrampft des überlieferten Kanons bedient.

Wieder sind die Parallelen zur Kleidung evident: Was heute als „Bad taste" oder „HausmeisterStil" in der Mode den farbenfrohen Ton angibt, speist sich ebenfalls offensichtlich nicht aus genuiner Neuschöpfung, sondern aus dem freiverfügbaren Repertoire von Schlaghose bis Pullunder, das in „defensiver Differenz" nur scheinbar angepaßt und stets in doppeldeutiger Haltung geplündert wird. Auch die Malerei von Sigrid Nienstedt findet hier ihren wahlverwandten Geist. Sind doch ihre „spießignaiven" Motive von Landschaft und Urlaub alles andere als avantgardistische, nach Neuheit schielende Bilderfindungen. Vielmehr ist ihr „Bilderalbum" – die Sujets sind oft Vorlagen wie etwa Reiseprospekten oder Merian-Heften entWENDET – im rasenden Stillstand von Tradition und Bruch angesiedelt. In Spannung hält die Bilder eine der Bad taste-Mode vergleichbare Doppeldeutigkeit von Sinn und dessen Tendenz, sich in Form aufzulösen2 .

So sprengt oftmals eine „aufgepopte", gleißende Farbigkeit die scheinbar naturalistische Wiedergabe. So verweisen Nienstedts Bilder eher auf Kunstgeschichte, etwa auf Edward Hopper, und auf die technisch reproduzierte Welt der Postkarten als auf tatsächlich besuchte, gesehene und schließlich erinnerte3 Landschaften – der epische Charakter löst sich auf in ein zitierendes Nichts. Und gibt paradoxerweise gerade dadurch auf den nun gleichsam ortlos gewordenen, also wortwörtlich utopischen Landschaften, Raum für „eigene" Visionen. Zudem werden die Bilder oft als Serie präsentiert, ohne daß sich dabei ein narrativer Faden entspinnt. Vielmehr geben formale Aspekte die ORTnung der Bilder in der Serie vor. Daß dabei horizontale Farbstreifen eine ausgeprägte Rolle spielen, erinnert allerdings wohl nur zufällig an des Design der ach so schön bunten Pullis und Socken der bad tastigen 60- und 70er Jahre. Oder doch?

1 unerhört frei nach The Beatles
2 Auf vergleichbare Doppeldeutigkeit wiesen schon Theodor W. Adorno in seinem Essay „Über epische Naivität" und Susan Sonntag in ihren „Anmerkungen zu <Camp>" hin.
3 Auch viele der Kids, die heute die Mode der 60er Jahre zitieren, haben diese Aera eben nicht miterlebt.


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