Sinje Dillenkofer


Upside Down

Susanne Roeder über Sinje Dillenkofer

Sinje Dillenkofer (*1959) lebt in Stuttgart und besuchte die dortige Kunstakademie. 1989 erhielt sie das Stipendium des Bundeslandes Baden-Württemberg und des DAAD für New York sowie das Baldreit-Stipendium der Stadt Baden-Baden. Am 22.9. wurde der Künstlerin der Paul-Strecker-Preis verliehen.

Fiktion und Realität, virtuelle Wirklichkeiten der Neustädterin Sinje Dillenkofer bot der Kunstverein Heilbronn zur Schau. Fotografie und Symbolik, nämlich symbolische Fotografie oder fotografische Symbolik verraten den tiefgründigen Feinsinn, mit dem hier eine Künstlerin ans Werk geht. Inszenierte Dokumentation des Bildlichen. Ist so etwas überhaupt erlaubt? Was ist echt und was ist Täuschung? Geschneiderte Fotografie? Spielerei mit dem Artefakt? Mit derlei Doppel- und Mehrdeutigkeiten versteht es die gelernte Schneiderin und Kunstakademikerin, ironische und bisweilen entlarvende Bildkompositionen zu montieren. Ist es gar ein Bildersturm gegen die Digitalisierung unseres Kosmos?

"Kontinente" bzw. "Umkehrung" heißt Dillenkofers Leitmotiv. Was hat man sich unter "5 Kontinente" (1994/95) vorzustellen? Nun, bei der Künstlerin sind es zwei Frauen und drei Männer, die - mal schwebend, mal stehend - gewissermaßen schwerelos durchs All gleiten. Schwerelos, aber doch nicht mühelos, hat doch jede Gestalt ihr Paket, ihren Phantasiekontinent, zu tragen. Er oder sie wird auf nacktes Design beschränkt. Intim und dennoch distanziert, darauf liegt der Akzent bei dieser Körperkunde.

Daß solche Personen dennoch Fußspuren hinterlassen, davon kündet die 38teilige Foto-Installation "Die Umkehrung" (1994/ 1995). Also doch noch eine Chance für ein gewisses Ausmaß an Individualität? Zumindest legt Dillenkofers Geographie der Körper dies nahe. Ihre Kontinentsrepräsentanten setzen Akzente in der Geographie des Kosmos. Ein subtiles, distanziertes Zusammenspiel von Personen wird angedeutet. Und dann noch ein Hirschgeweih "zu Füßen", merkwürdige Reduktion der Macho-Symbolik. Und über alledem das Dreigestirn Himmel. Es ist, als trage die Anonymität eines Großunternehmens durchaus menschliche Züge, der Hirsch röhrt von unten - vielleicht eine Chance für die Frau.

Dillenkofer macht ihren Standpunkt auch als Frau durchaus klar, indem sie sich gerade bei "Umkehrungen" für das schwache Geschlecht stark macht. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem patriarchalisch-machistischen Credo "besitzen, gebrauchen, nehmen" ("Owning-using-taking", 1994/95). Das gegensätzliche Miteinander der Geschlechter zeigt ein dreiteiliges Kleinwerk "Le Pair" (1995). Es ist eine Politik der Bildbotschaften, politisch hintersinnige Symbolik, die in spielerischer Leichtigkeit zu Sprache wird.

Ist denn das Kunst? Zugegeben, auf die eine oder andere Idee könnte man selbst kommen, und gelegentlich könnte wohl die Künstlerin Dillenkofer ermüdend wirken. Aber deswegen sind ihre Ausstellungen auch auf Wanderschaft, beglücken hier, provozieren dort, stoßen auf Ablehnung oder leise Anerkennung.

Logik der Symbole kann man der Enddreißigerin bestimmt nicht absprechen. Ihre verschiedenen Porträtaufnahmen sind tierisch menschlich, sprechen eigentlich eine klare Sprache. Dennoch bleibt Spielraum für vielerlei Interpretationen. Ob ihre Montagen letztendlich gefallen, ist eine Frage des Geschmacks oder des Standpunktes. Unstrittig ist, daß die profilierte Gestalterin bewegt-erstarrter Bildkompositionen es versteht, für Verunsicherung zu sorgen, Fragen aufzuwerfen, Anstöße zu geben.

Ihre jüngste Publikation ist ein 80seitiger Katalog mit dem einfachen Titel "Sinje Dillenkofer". Er gewährt Einblicke in die nicht gerade lammfrommen Bilderwelten einer vielseitigen Künstlerin, die sich dem Medium Fotografie und seinen Möglichkeiten des Abbildens und Gestaltens verschrieben hat. Und gerade da, so wird uns unmißverständlich nahegelegt, sind allzu apodiktische Urteile fehl am Platz. Sinje Dillenkofers Alternative: leise Ironie im Umgang mit sich und ihrer Umwelt, jenen geophysischen Gegebenheiten. Zweifelsohne provokativ und analytisch geht hier eine international bewanderte Künstlerin ans Werk, arbeitet bis ins Detail mit dem Fotografischen und dessen Daseinsberechtigung.