Wer DezemberÕ97 in Dessau die Bertolt-Brecht-Straße entlang ging, staunte nicht schlecht, als im Eckhaus, wo sich normalerweise die Galerie Materialwaren und Südfrüchte von Otto Koch befindet, ein neues Schaufenster mit dem Titel "Deutsche Wacht" zu sehen war. Offensichtlich wurde die Galerie geschlossen, eine Wachfirma ist eingezogen. Handzettel, die im Wohngebiet auftauchen, geben Auskunft: "Liebe Bürger und Bürgerinnen, es ist notwendig, Ihr Eigentum zu schützen. Wir sind die Fachleute fŸr solche Aufgaben!" - behauptet der neue Seicherheitsdienst und verspricht, alle Probleme zu lösen. Wer das liest, mag denken, da tut sich was in Dessau, doch viele Bürger bleiben skeptisch. Wie sich bei näherer Recherche herausstellt, ist ihr Mißtrauen nicht unbegründet, denn die Deutsche Wacht ist ein Kunstprojekt. Das hätte nat¨rlich niemand erwartet, doch das ist gerade die Strategie des Berliner Künstlers Kurt Buchwald, der kurzzeitig die Galerie in der Bertolt- Brecht-Stra§e bezogen hat. Die Deutsche Wacht ist eine Zweigstelle des Amtes fŸr Wahrnehmungsstörung, kurz AFW genannt. Buchwald hat die fiktive Behörde 1993 gegründet und sich selbst zum Amtsvorsteher ernannt. Das Amt Ÿberrascht das Publikum mit den verschiedensten Sinn- und Unsinnigkeiten. Diese werden in Form amtlicher Anordnungen und pseudowissenschaftlicher Untersuchungen bekanntgegeben. Auch Warn- und Verbotsschilder hat er aufgestellt, wie 1988 in Moskau bei der Aktion "Fotografieren verboten!" auf dem Roten Platz. Ein ähnliches Schild vor der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz in Ostberlin führte zur Festnahme durch die Volkspolizei. Nach der Wende hat Buchwald das Fotoverbot weltweit installiert. Die Bilderflut war damit nicht aufzuhalten, im Gegenteil, sie hat eher zugenommen. Dieser Anachronismus veranlaßte Buchwald, das Amt fŸr Wahrenehmungsstörung ins Leben zu rufen. Jetzt beschränkt er sich nicht nur auf die Kritik des Bildermachens, sondern kann alles mögliche ironisieren. Ihn interessiert vor allem das Geschehen in den neuen Bundesländern, allerdings bleiben auch die Alten nicht verschont. In einer Kleinstadt im Ruhrgebiet werden 1997 von Amts wegen sogenannte "OM"-Beobachtungsstationen errichtet und in Berlin wird die Leere auf öffentlichen Plätzen gemessen. Bei seinem Dessauer Projekt lä§t er sich von der "Germania auf der Wacht am Rhein" und der Reichseinigung 1871 inspirieren. Er gründet sozusagen die Wacht an der Mulde und beabsichtigt, weitere Stationen an anderen deutschen Flüssen, wie der Elbe, der Oder usw. einzurichten. T. Bringewicht |