Woldemar Winkler


Biografisches zu Woldemar Winkler
1902 Am 17. Juni wir Woldemar Winkler in Mügeln, Bezirk Dresden, als zweites Kind des Finanzberaters Walter Winkler und seiner Frau Adele, geb. Eichler, geboren.
„Als Kind war ich oft einsam und habe viel geträumt." „Fremdes, Seltsames, Geheimnisvolles, aber auch Buntes und Glitzerndes haben mich stets gereizt... Mit verwitterten Holzstückchen und seltsamen Elbkieseln beschäftigte ich mich stundenlang. Heidelbeersaft, zu Pinseln gekaute Birnenstiele und nicht zuletzt die Finger waren meine ersten Malmittel. Je fleckiger und dreckiger die Papierfetzen wurden – meist blaue oder braune Einkaufstüten - , desto begeisterter verlor ich mich in solches Malen. (...) Mit der verträumten Idylle unseres Hauses (in einem Dorf vor den Toren der Stadt Dresden) war es 1941 aus. Der Jahrgang 1902, dem ich angehöre, hatte Glück: Ich blieb, wenn auch nicht von der Hungersnot, so doch vom Heldentod verschont."
1917 Ausbildung in historischem Stilzeichnen in der Kronleuchter- und Lampenfabrik Seifert, Mügeln.
1920 Ausstellung als entwerfender Zeichner in einem Goldschmiedebetrieb in Pforzheim.
1921 Studium an der Staatlichen Akademie für Kunstgewerbe in Dresden, zunächst im Fach Architektur.
„Mein Vater, als Finanz- und Wirtschaftsberater ein besonders realistisch denkender Mann, war gegen jeglichen künstlerischen Beruf. Architektur war ein äußerstes Zugeständnis."
„Es ist erstaunlich und bezeichnend, daß gerade in einer Zeit bitterster äußerer Not – nach dem Ersten Weltkrieg – so leidenschaftlich um Künstlerische Probleme gerungen wurde und wieviele Götzen von ihren Sockeln fielen. Die Goldenen Zwanziger hatten nur für Schieber und Wucherer ihren Glanz. Geistig und künstlerisch wurde mit Ungestüm nach verschütteten Wurzeln gegraben. (...) Im übrigen waren die Notjahre in Dresden so schrecklich wie in Berlin, und es wimmelte von Gaunern und Spekulanten, die den Ärmsten der Armen das Letzte heraudrückten (...) Hunger und Not ließen die Menschen auf der Straße entkräftet zusammenbrechen, Arbeitslosigkeit und Verzweiflung ließen die Selbstmordzahlen erschreckend ansteigen."
„Die zwanziger Jahre waren es, da ich mich, unbelastet von einer Kunstbetrachtung des 19. Jahrhunderts, ohne große Erfahrung und besonderes Wissen, wahrscheinlich aber gerade dadurch mit heißem Herzen an die Front der modernen Kunst schlich. Sehr schnell ließ mich mein Instinkt erkennen, wo sich besondere künstlerische Kräfte regten. (...) Es war ja noch die Zeit, da der deutsche Nach-Impressionismus seine letzte Entfaltung hatte und die Akademien in diesem Geiste lebten.
Corinth, Liebermann und Slevogt, für die meine Altersgenossen schwärmten, lebten noch. Ich hingegen erfreute mich – wenn schon Impressionismus – an den französischen Werken, die damals in Deutschland noch sehr verächtlich als l´art pour l´art bezeichnet wurden."
1922 – 1927 Am gleichen Institut Studium der Malerei bei Professor Carl Rade. Nebentätigkeit – bis 1926 – als wissenschaftlicher Zeichner am Dresdner Völkerkundemuseum.
„Die Kunstszenerie Dresdens war für die, die Augen hatten, in jenen Jahren atemberaubend und knisternd. Gewiß hatten die Avantgarden auch schon in anderen Städten von sich reden gemacht: in München der ´Blaue Reiter`, in Wien Kokoschka und andere, in Hannover Schwitters mit seinen Merz-Bildern usw. In Dresden waren es die ´Brücke`und die ´Neue Sezession`. Das waren freilich Geschehnisse und Tatsachen, die nicht ins Bewußtsein der Allgemeinheit drangen, sondern die sich ziemlich abgesondert vollzogen und nur von wenigen mit Interesse verfolgt wurden."
„Ich kann im allgemeinen nur von meinen Erfahrungen in Dresden sprechen, und ich kam relativ spät in die ´suspekten`Kreise, gehörte ja auch schon meiner Jugend nach, nicht mehr direkt dazu, hielt mich vielmehr sehr zurück – hatte ich doch bereits ein Gefühl für das Kommende und wollte mich nicht, wie so viele meiner Altersgenossen, zu sehr in die – wie ich meinte – schon klassisch gewordenen Modernen verlieben. Auch erkannte ich, wie gefährlich es sein kann, sich von der Kraft und Schönheit der modernen Malerei, etwa derjenigen Kandinskys, Klees und vieler anderer, die nun langsam aufkamen, einfangen und aufsaugen zu lassen, auch wenn ich diese Maler sehr schätzte (...). Paul Klee hatte kurz nach dem Krieg in Dresden bei dem international bekannten Photographen und Galeristen Erfurt seine erste Ausstellung. Ein briefbogengroßes Aquarell war besonders schön; ich war hingerissen und hätte es gern gekauft. Fünfzig Mark hätte ich zahlen müssen, und Erfurt wollte mir auch erlauben, den Betrag in Monatsraten abzuzahlen. Leider war es mir trotzdem nicht möglich: Die wenigen Mark, die ich hatte langten in den wirtschaftlichen Notjahren schon nicht, um mich satt zu essen."
1925 Meisterschüler bei Carl Rade.
1926 Herwarth Walden will Winkler in seiner „Sturm"-Galerie in Berlin ausstellen. Winkler lehnt auf Anraten seines Mentors Rade ab: für eine solche Ausstellung sei es noch zu früh. Winkler wird Rades Assistent.
„Den großen Lehrern und Anregern, von deren Tätigkeit, wenn sie nichts geschrieben haben, eigentlich nichts bleibt, ergeht es wie den Mimen, denen die Nachwelt keine Kränze flicht. Einer von diesen bedeutenden Anregern war Carl Rade, der in Dresden an der Akademie so etwas war wie Itten am Bauhaus. (...) Um die Jahrhundertwende bemühte man sich, das Künstlerische zweckvoll und das Zweckvolle künstlerisch zu machen, Rade ging einen Schritt weiter, indem er zunächst das Künstlerische wie das Zweckvolle ganz grundlegend in Frage stellte, mit Material, Handwerk und Technik experimentierte und so mit seinen Schülern neue gestalterische Erfindungen machte. Dabei war ihm die erzeugende Hand als Ausgang, Maß und Ausdruck die erste und wichtigste Voraussetzung – im Gegensatz zum Bauhaus, das besonders in seiner späteren Entwicklung mehr und mehr die Maschine zum Ausgangspunkt seiner gestalterischen Möglichkeiten und Absichten machte. Diese elementar unterschiedlichen Auffassungen waren übrigens seinerzeit der Grund, warum Rade nicht mit seinen Meisterschülern und mit seinem Assistenten, der ich damals war, ans Bauhaus ging (...). Gropius verließ zu der Zeit das Bauhaus, und Klee hatte ein Lehramt in Düsseldorf angenommen. Rade hatte mich damals für die Klee- Malklasse vorgesehen. Wir haben lange überlegt (ob wir den Ruf ans Bauhaus annehmen sollten). Die dunkel heraufziehenden politischen Wetterwolken trugen dann noch entscheidend zu der Absage bei."
1927 Aufträge der Stadt Dresden, u.a. Wandmalerei sowie eine große Kunstuhr im Bürgerheim in der Pfotenhauerstraße.
„Wie sehr die verschiedenen Kunstarten, wie Theater, Tanz, Musik und bildende Kunst, einander befruchteten, konnte in Dresden besonders gut beobachtet werden. (...) Mary Wigman hatte hier eine berühmte Tanzschule, so wie später auch ihre große Schülerin Gret Palucca. Sie war aus der Hellerauer Schule von Emile Jaques-Dalcroze und aus der Laban-Schule hervorgegangen. (...) Hier sei noch eines anderen großen Tänzers gedacht, der aus der Wigman-Schule kam und der eigentlich Maler war: Harald Kreutzberg. Er war wie ich vorher Schüler bei Carl Rade gewesen und hatte dort kleine Klebebilder geschaffen, von denen ich noch eins im Seifert-Museum in Dresden entdeckte. (...) Auf dem Gebiet der Musik und des Theaters zeigte sich die Weltspitze in Dresden, z.B. die großen Dirigenten wie Schuch und Fritz Busch, der den 13jährigen Yehudi Menuhin nach Dresden holte. Hier führte Oskar Kokoschka sein Theaterstück „Mörder, Hoffnung der Frauen" auf, das er selbst inszenierte. Er war zu dieser Zeit Professor an der Akademie. (...) Im Café Zuntz ´Selige Witwe`, wo die Tasse Kaffee zwanzig Pfennige kostete, trafen sich die Künstler, die Schriftsteller, die Schauspieler und nicht zuletzt die vielen schönen Mädchen der Dresdner Tanzschulen."
„Kontakte mit vielen großen Männern, von denen man eigentlich noch gar nicht wußte, wie groß sie waren, waren selbstverständlich. (...) Man kam mit Kokoschka und der Wigman zusammen. Bei Tillich wurde diskutiert. Julian von Karolyi spielte mit Händen und Füßen zugleich auf meinem Klavier. Mit Josef Hegenbarth tauschte ich Zeichnungen aus."
„Im Café Zuntz saß ich zumeist still mit offenen Ohren, hörte viel dummes Zeug, aber auch manches Geniale und zeichnete schweigend und fleißig in mein Skizzenbuch. Otto Dix saß mit seinem dekorativen schwarzen Schlapphut am Nebentisch, und der Dichter Theodor Däubler sah mir interessiert über die Schulter."
1927 Winkler wird von Hofrat Professor Simonson-Castelli als Lehrer an dessen private „Akademie für Zeichnen und Malen" in Dresden berufen. Daneben erneutes Studium der Malerei – bis 1930 – bei Dorsch und Feldbauer an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste, Dresden.
„Hofrat Professor Simonson-Castelli holte mich inzwischen an die „Akademie für Zeichnen und Malen". Dort experimentierte ich anfänglich mit meinen Schülern in ganz neuer Weise. Sehr schnell merkte ich aber, wie lebensgefährlich eine solche Tätigkeit war, und schaltete ausschließlich auf das wissenschaftliche Naturstudium um, das ich, mit Anatomie und Perspektive, bisher nur als Ergänzung am Rande betrieben hatte. Inzwischen wehten in Dresden schon die Hakenkreuzfahnen, und es wurden immer mehr und mehr. Die Ostbahnstraße, der sogenannte Dresdner Montmartre, blieb zunächst ohne Fahnen, aber bald steckten die Kommunisten ihrerseits das rote Tuch heraus, und da die Maler im wesentlichen politisch links standen, war die Ostbahnstraße fast unirot beflattert. Es wehten auch einige schwarz-rot-gelbe Fahnen der Republikaner, sprich Sozialdemokraten, aber auch schwarz-weiß-rote Fahnen sah man in den Straßen. Jeder zeigte seine Gesinnung (...), bis eines Tages der Wind mit gewaltigem Knall ein riesiges, blendend neues Fahnentuch, das vom dritten Stock bis zur ersten Etage reichte, bedeutungsvoll gegen mein Atelierfenster schlug. Die schwarze Hakenkreuzspinne auf dem weißen Spiegel leuchtete wie eine Fackel vor dem Hintergrund der schäbigen Häuser und der immer blasser und brauner werdenden Kommunistenfahnen. Prahlend und geräuschvoll meldete sich die neue Zeit."
1929 – 1941 Winkler leitet die „Akademie für Zeichnen und Malen / Simonson-Castelli".
„In jenen Wochen vor der Machtergreifung Hitlers war es auch, da eine aufregende Katastrophenstimmung herrschte. Viele wollten noch flüchten, aber oft langten die Mittel nicht. Dann die Furcht: Werden die Grenzen geschlossen? Die Juden fürchteten Verhaftungen an der Grenze. Ich erinnere mich einer schönen, begabten jüdischen Tänzerin (...), ich gab ihr den letzten Rest meiner Barschaft. Der Zug fuhr am Atelier vorbei, wir konnten ihn noch nachwinken, und von Prag aus schrieb sie einen Dankesgruß."
1933 – 1941 Da Winkler bis zur Machtergreifung nicht ausgestellt hat, hat er zunächst kaum äußere Schwierigkeiten. Als er 1937/38 zwei offizielle Aufträge erhält (Entwurf eines Maibaums mit Berufswappen; eine Mappe mit Linolschnitten von historischen Kanonen), sucht er sie „ohne Tendenz" auszuführen.
Winkler lebt mit Hilde Donndorf (Stilijanov-Kretschmar) zusammen, seit man diese aus der Haft entlassen hat. Er fördert Kate Diehn-Bitt, Rudolf Nehmer und Albert Wigand, die sich ebenso wie Hilde Stilijanov-Kretschmar – später in der DDR einen Namen machen werden.
„Am Abendakt meiner Schüler (nahm) auch Professor Fanto (teil), der berühmte Bühnen- und Kostümgestalter an der Oper und am Schauspielhaus. (...) Er wohnte in einer Villa an der Bürgerwiese, die der Krieg vernichtet hat. Ich erschien einmal dort, die Bedienerin führte mich in ein Vorzimmer mit antiken Stühlen um ein kleines barockes Tischchen, an dem ich Platz zu nehmen hatte. Dort stand eine mächtig große Schale, überfüllt mit Visitenkarten (...). Das war in der Zeit üblich; auch bei Hofrat Castelli war es Gepflogenheit, daß der Besucher erst einmal ein paar Minuten warten mußte. Man bekam also genügend Gelegenheit, die erlesenen Namen zu studieren. Es fehlte weder Gerhart Hauptmann noch Max Reinhardt noch die höchste Aristokratie. (...)
Einmal rief Fanto mich an und sagte: ´Lieber Meister, heute abend kommt Richard Strauss zur Uraufführung seiner neuen Oper`- ich glaube, es war Elektra - ´Sie müssen kommen, uns fehlt der vierte Mann zum Skat. Sie wissen doch, wenn die Premiere vorbei ist, muß er gleich hinter dem Vorhang seinen Skat haben.`(...) Als dann Hitler kam, überall eine sogenannte rassische Säuberungsaktion einsetzte und jeder seinen Arier-Nachweis erbringen mußte, bekam Fanto Schwierigkeiten, besonders da vielseitig der Verdacht geäußert wurde, er sei Jude. (...) Fanto behauptete, er sei ein Wiener Findelkind, und seine Eltern seien ihm unbekannt. Später, nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich, wurden alle Einwohnermeldestellen und Standesämter in Wien überprüft. Dabei entdeckte man auch, daß Fanto tatsächlich jüdischer Abstammung war. Daraufhin verlor er sein Amt. Bald darauf hörte ich von seinem Tod. Er soll Selbstmord begangen haben (...)."
1938 Winklers Arbeiten in städtischen Gebäuden Dresdens werden als „entartet" zerstört. Der Maler macht sich verdächtig, u.a. durch Unterstützung „unerwünschter Personen" und durch den Versuch, dem entlassenen Rade zu einer Anstellung an seiner Schule zu verhelfen. Dem Institut wird der Titel „Akademie" aberkannt. Zweimal nimmt die Gestapo nächtliche Hausdurchsuchungen bei Winkler vor.
„Es wird sich herumgesprochen haben, daß ich bestimmten Leuten geholfen hatte. Da meinten sie, ich hätte Juden versteckt usw. Aber sie hatten Pech: Sie haben nichts gefunden weil sie nicht wußten, daß ich darunter noch eine Etage hatte – ich wohnte einen Stock höher. Und da unten waren gewisse Leute untergebracht – auch ein paar Kommunisten -, denen es nicht gut ging. Na ja, sie haben mir das Leugnen nicht so recht geglaubt, weil eben bestimmte Leute bei mir ein- und ausgingen. Das war wohl beobachtet worden. Ich wurde dann 1941, anschließend an die Haussuchungen, zum Militär eingezogen. Da war ich also `unschädlich´."
1941 – 1947 Einberufung zum Kriegsdienst. Winkler übergibt Ernst Hassebrauk die Leitung seiner Schule. Er gelangt als Soldat zunächst nach Polen. Dann nach Norwegen; dort Tätigkeit als „Lehrgangsleiter für soldatische Werkarbeit". 1943-47 Kriegsgefangenschaft in Norwegen, während der er von den Engländern zur künstlerischen Betreuung der Gefangenen eingesetzt wird.
1945 Am 13. / 14. Februar wird Dresden (ca. 630.000 Einwohner, dazu Hunderttausende von Flüchtlingen) durch alliierte Bomber zerstört. Dabei werden auch Winklers Wohnung und Atelier in der Scheffelstraße vollständig vernichtet – und mit ihnen der größte und wichtigste Teil seines bis dahin entstandenen Werks.
„Diese Bombardierung Dresdens war eine der fürchterlichsten Episoden dieses an Entsetzlichem so reichen Krieges. Der Brand wurde zu einem Feuerzyklon, der sich selbst durch den von ihm hervorgerufenen Druckfall schürte (...) Keine Gegenwehr, keine Flucht war möglich. Wer in den Luftschutzkellern blieb, erstickte. Wer die Keller verließ, verbrannte in dem Flammenmeer. Der Asphalt der Straßen brannte. Auf dem Altmarkt verbrannte eine Menschenmenge wie ein Wald. (...) Der Brand dauerte vier Tage, verzehrte 20 Quadratkilometer und erfüllte das Elbetal mit verkohlten Trümmern. Die Menge der Leichen war schreckenerregend, man sammelte 20.000 Eheringe in Eimern. Fünf große Leichenscheiterhaufen wurden auf dem Altmarkt errichtet, und man begrub die zwei Meter hohe menschliche Asche mit Schaufeln. Die Zahl der Opfer läßt sich heute unmöglich exakt feststellen, erreicht sie doch eine geschätzte Höhe von etwa 135.000; das Bombardement von Dresden war also das mörderischste des ganzen Krieges, Hiroshima eingeschlossen" (Raymond Cartier: Der Zweite Weltkrieg, München – Zürich 1967). „Wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens" (Gerhart Hauptmann, Februar 1945).
1947 Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, zunächst in das zerstörte Dresden.
„(ich) kam 1947, mit dem Rucksack als einziger Habe, in zerschlissener Uniform aus der Gefangenschaft zurück. Ich kletterte über Ruinenhaufen, die einmal die Stadt Dresden gewesen war. Es war totenstill in der einst so lebendigen Stadt. In der Scheffelstraße im Zentrum fand ich dann auch den Platz, wo mein Atelier gewesen war. Alles war niedergewalzt, und nur hier und da durch Ruinenreste aufgehalten. Ich suchte in dem Schutt, fand aber keinerlei Reste oder Erinnerungsstücke. Alle meine Bilder sowie meine Sammlung und meine Bibliothek waren vernichtet."
„Sicher ist man betroffen gewesen. Aber die Zeit war ja so, daß überall Vernichtung, überall Leid und Kummer waren, so daß man das gar nicht so recht registrierte. Man war einfach wie hypnotisiert (...) und hat es nicht so empfunden, wie man es dann hinterher empfand. (...) Wenn man täglich sah, was alles verloren ging, schätzte man seinen persönlichen Verlust gar nicht so hoch ein."
1947 Winkler geht nach Celle in Niedersachsen, wo er für ein Jahr als künstlerischer Leiter eines Kunsthandwerkerbetriebs tätig ist. Hier begegnet er seiner künftigen Lebensgefährtin. Das Angebot, einen Lehrstuhl an der neu eröffneten Hochschule für Werkkunst in Dresden zu übernehmen, lehnt der Maler ab.
„Nach dem Krieg wollten Grohmann, der Direktor an der Akademie (für Werkkunst) in Dresden geworden war, sowie Rade als Projektor mich gern als Professor an der Schule haben. Ich schlug das Angebot damals aus, weil ich nicht noch einmal in politische Zwangslagen kommen wollte, und ging nach Westdeutschland..."
1949 Winkler heiratet die Handwebmeisterin Margret Horstkotte und läßt sich in deren Heimatstadt Gütersloh/Westfalen nieder.- In den folgenden Jahrzehnten regelmäßige Reisen nach Dresden.
1950 Seit 1950 lebt und arbeitet der Maler in dem Dorf Niehorst bei Gütersloh. Er erhält private und öffentliche Aufträge, u.a. für Buchillustrationen, Wandgestaltungen und Glasfenster, und veranstaltet Kurse an der Volkshochschule. Bis Ende der 50er Jahre stellt Winkler nicht aus.
1960 Erste größere Ausstellungen: gemeinsam mit seiner Frau in Sennestadt bei Bielefeld; zusammen mit Otto Dix in der Sozialakademie Dortmund.
„...Otto Dix, der in seiner kraftvollen Ungeschlachtheit das Staunen über die Welt überzeugend auszudrücken vermöchte und der seinen Weg als Anstreicherlehrling in der Kleinstadt begann. Da wir beide in Dresden Lehrer waren, hatten wir manche Berührung. (1960) kam es dann zu einer gemeinsamen Ausstellung in Dortmund, wo auch jeder von uns eine Porträtzeichnung unseres gemeinsamen Freundes und meines Lehrers Carl Rade zeigte."
1963 In Südfrankreich, wo er seit Anfang der 60er Jahre Sommerkurse veranstaltet, begegnet Winkler dem Galeristen Alphonse Chave, der erstmals in Frankreich Winkler-Arbeiten ausstellt (1963 in Vence bei Nizza, 1964 in Lyon und Paris).
„Nach dem Krieg habe ich unter innerem Zwang und mit größter Intensität gemalt und gestaltet, dabei aber in der Enge der westfälischen Kleinstadt stets kontaktlos wie im luftleeren Raum gelebt. Junge Menschen, die als Schüler zu mir kamen und denen ich mich stets mit gleicher Begeisterung widmete, waren mein Trost und meine Hoffnung, wenn ich sehen durfte, daß es möglich war, sie zu einer freieren, aufgeschlosseneren und besseren Generation heranzubilden. In Südfrankreich gründete ich ein Kunststudio, wo ich zuweilen mit meinen Schülern hingehe, um zu malen. So geschah es, daß dort eine Kunstgalerie auf meine Arbeiten aufmerksam wurde und sie ausstellte."
1964 Erste Einzelausstellung in Frankreich in der Galerie Alphonse Chave (Vence), die 1966, 1968, 1970, 1972, 1976, 1984 und 1986 weitere Winkler-Ausstellungen zeigt.
1966 Erste Einzelausstellung in der Bundesrepublik: Galerie Brusberg, Hannover.
1969 Einzelausstellung im Wolfsburger Schloß (Kunstverein), der in den nächsten Jahren weitere folgen, u.a. in Wien, Dortmund, München, Düsseldorf und Köln.
1970 Winkler begegnet in Vence Max Ernst. Er wird deutsches Komiteemitglied der Fondation Michael von Karolyi, Vence (unter der Präsidentschaft des Philosophen Bertrand Russell).
Deutschland, so Winkler, „ist ein Land, in dem es sehr viele hohe Spitzen gibt, aber das allgemeine Niveau leider ein sehr geringes ist. Die Deutschen wollen immer mit den Ohren sehen. Ws Wunder, daß viele deutsche Künstler nach Frankreich gegangen sind, wo man geschulte Augen und Sinne hat, wo man die Nuance zu sehen gewohnt ist und jede Abweichung im Positiven wie im Negativen mit beweglicher Instinktmäßigkeit registriert – wo Sinnenfreude vor Disziplin marschiert. (...) (So) stellte ich meine Bilder jahrelang in Frankreich aus, da mir meine Landsleute kein Interesse entgegenbrachten. In Frankreich traf ich mit Hans Hartung zusammen, der schon lange vor dem Krieg aus Dresden weggegangen und schließlich Franzose geworden war. Ebenso kam ich mit Max Ernst zusammen, der meine Arbeit sehr schätzte und für mein Bekanntwerden in Frankreich viel getan hat. Erst ganz langsam wurde ich, auf dem Weg über Frankreich, auch in Deutschland bekannt."
1973 Von diesem Jahr an verbringt Winkler alljährlich einen Arbeitsaufenthalt in Andalusien, wo er in der Nähe von Malaga eine alte Mühle erwirbt.
1977 Einzelausstellung im Schloß Oberhausen. Aufenthalt als „Visiting Artist" an der Universitiy of Western Ilinois in Macomb/III. und an der Universität von Iowa City/Iowa. Einzelausstellungen in Musée Ingres in Montauban (Frankreich) und in der Galerie Francoise Tournier in Paris.
„Ihren dimensionalen Höhepunkt erreichen die Objektkästen mit dem Environment, das Winkler 1977 in der Corroboree Galery of New Concepts, Universität of Iowa, verwirklicht. Diese Arbeit, die ein Jahr später teilweise in der Deutschen Künstlerbund-Ausstellung in Berlin dokumentiert wurde, erstreckte sich auf die Ausgestaltung von drei Räumen. Verwittertes Holz, rostiges Metall, von Malereistudenten benutzte Paletten und andere Materialien wurden zu Wandobjekten, Raumskulpturen und Fußbodenobjekten.
Aufeinander bezogen, reiften sie zu einem begehbaren, überdimensionalen Objektkasten. Winkler, der an sich zusammen mit dem Autor zu Vorträgen an die University of Iowa geladen war, fertigte das gesamte Environment innerhalb von fünf Tagen und Nächten – ein Ausweis seiner künstlerischen Arbeitswut (Heiner A. Hachmeister: „Der Surrealismus und das Werk Woldemar Winklers", In 1. Ausstellungskatalog der Galerie Dürr, München, 1980).
1978 Einzelausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen. Beteiligung (mit 9 Arbeiten) an der großen internationalen Ausstellung „Imagination" im Museum Bochum, womit Winklers Werk erstmals in einem authentischen surrealistischen Rahmen (Benoit, Camacho, Freddie, Matta, Oelze, Oppenheim, Parent, de Sanctis, Schröder-Sonenstern, Toyen u.v.a.) präsentiert wird.
1982 Umfangreiche Werkschau im Wasserschloß Kemnade des Museum Bochum. Winkler erhält das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Zweimonatiger Aufenthalt in der Villa Romana in Florenz.
1986 Einzelausstellung („Florenz – Dresden und andere Folgen") im Karl-Ernst-Osthaus-Museum, Hagen/Westfalen.
1987 Winkler erhält den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Erste Ausstellung in seiner Heimatstadt Dresden: Staatliches Kupferstichkabinett (in den Räumen der Kunstgewerbeakademie, in der Winkler 66 Jahre zuvor sein Studium begonnen hatte).
Seit Herbst 1987 Gastdozenturen an der Alanus-Hochschule Bonn und an der Universität Paderborn.
„Die Zeit rast so furchtbar, sie entgleitet einem förmlich. Ich habe so viele Gedanken und noch so vieles zu tun – auch zu schreiben vielleicht - , daß... bis hundert Jahre müßte man eigentlich alt werden" (Winkler 1988).
1990 Umfangreiche Winkler-Retrospektive im Museum Bochum. Einzelausstellung in der Galerie Chave, Vence. Weitere Ausstellungen, u. a. im Musée Ingres, Montauban, Frankreich. Beteiligung an der Ausstellung ´Surrealisten`in der Baukunst Galerie, Köln. Publikation der Monographie `Woldemar Winkler`von Frieder Schellhase und Heribert Becker, die erstmals eine umfängliche Bibliographie zum Werk des Künstlers zusammenstellt und im Nautilus Verlag Hamburg erschienen ist.
1991 In einer offiziellen und feierlichen Übernahme erhält das Museum Bochum Arbeiten Winklers aus sieben Schaffensjahrzehnten. Anläßlich einer Ausstellung in der Galerie Chave, Vence, zeichnet das fränzösische Fernsehen eine umfangreiche Reportage mit Winkler auf.
1992 Ausstellungen zum 90. Geburtstag im Musée Saitn-Roch, Isoudun, Frankreich, im Museum Bochum, in der Städtischen Galerie Rähnitzgasse in Dresden („Lebensspuren") und eine Ausstellungsreihe in Gütersloh. Zu Ehren von Woldemar Winkler erscheint das von der Stadt Gütersloh herausgegebene Buch: „Woldemar Winkler – Die Gütersloher Zeit" mit Beiträgen international bekannter Maler, Literaten und Musiker.
„Ein bescheidener Anfang ohne großes Wollen ist es zumeist, der mich zur Gestaltung treibt. ... Dabei spielt der Zufall nicht selten eine große Rolle."
1993 Unter anderem Beteiligung an der Ausstellung „Haute Tension IV" der Galerie Alphonse Chave, Vence, und Einzelausstellung „Woldemar Winkler 90 – Bilder, Collagen, Bildkästen, Skulpturen" in der Städtischen Galerie „Sohle 1" in Bergkamen.
1994 Gründung der Woldemar-Winkler-Stiftung der Sparkasse Gütersoh. Im Auftrag der Woldemar- Winkler-Stiftung entsteht der Film „Wanderer in geträumten Welten...". Präsentation einer umfangreichen Dauerleihgabe des Künstlers zur Eröffnung des Neubaus des Gustav-Lübke-Museums in Hamm.
1995 Ausstellung „Zeichnungen, Gemälde, Bildwerke" in der Städtischen Galerie Albstadt.
1996 Winkler wird Ehrenmitglied des Westdeutschen Künstlerbundes. Das Museum Abtei Liesborn in Wadersloh zeigt „Die jüngsten Zeichnungen 92 – 96".
„Ich suche nicht nach ästhetischen Gesetzen. Es liegt mir nicht daran, Kunst oder schöne Bilder zu machen. Das Atmen in unserer Welt, die sich mit ihren besonderen Eigenheiten ständig bedrohlicher formiert, zwingt mich zu immer neuen Reaktionen in meiner Sprache. Die Versuche, mit allen Fasern meines Seins in einer intuitiven Wachheit in Farbe, Form und Material zu kriechen, die Dinge nicht nur an der Oberfläche zu behandeln, sondern sie zu durchdringen, zu durchweichen, zu durchstechen und dabei Löcher in die Logik zu stoßen, bringen mich zu schöpferischer Ekstase."
1997 Anläßlich seines 95. Geburtstages wird erstmals der von Woldemar Winkler angeregte Kunstpreis der Woldemar-Winkler-Stiftung an Milan Nápravnik verliehen. Ausstellung im Stadtmuseum Gütersloh. Beteiligung an der Ausstellung im Museum Bochum und anderen Orten: „Aspekte imaginativer Kunst im 20. Jahrhundert". Retrospektivausstellung im Gustav-Lübke-Museum Hamm: „Woldemar Winkler – Begegnung mit dem Unsichtbaren".
1998 Herausgabe von Band 1 der Werkverzeichnisse: „Woldemar Winkler. Das graphische Werk". Ausstellung „Gaphische Werke" im Museum Bochum, , „Woldemar Winkler. Malerei, Graphik, Skulptur" im Museum Graudenz, Polen.
„Wer sich mit meinen Bildern einläßt, dürfte gezwungen sein, durch mein Fenster zu fliegen und einen „Trip" in das Labyrinth einer neuen Landschaft zu machen. So wird er sich, aus dem Bedürfnis unserer Zeit nach Mystischem heraus, der harten Realität mit ihren Ängsten bewußt werden und ihr durch schöpferischen Nachvollzug in einem Rausch entfliehen.
1999 Ausstellung in Dresden „Das graphische Werk" im Leonhardi-Museum und „Woldemar Winkler" in der Galerie Mitte. Einzelausstellungen in Halle „Magie der Verschmelzungen" und in Bergkamen „Träume jenseits der Jahre" in der Städtischen Galerie „Sohle 1". Einzelausstellung „Das graphische Werk" im Kreismuseum Bersenbrück. Verleihung des Woldemar Winkler-Preises an den Künstler Voré.
2000 Herausgabe des Buches „Woldemar Winkler – Ein Lebenswerk". Ausstellung im Museum Abtei Liesborn in Wadersloh und eine Ausstellung „Malerei, Collagen, Skulpturen, Zeichnungen" in der Galerie David, Bielefeld.